Der Engel

In den 60iger und 70iger Jahren, daran erinnere ich mich noch recht gut, waren »die Engel« ganz verschwunden. Vergeblich suchte man nach Engelbildern, Engelpostkarten oder nach Engelfiguren. 1987 zog ich mit meinem Ehemann in dessen Elternhaus, in dem die Schwiegmutter noch lebte.

Eines Tages, ich hatte mich gerade etwas hingelegt und las in einem neuen Buch, klingelte es an meiner Haustüre. Ich drückte den Türöffner, aber es kam niemand herein. »Vielleicht hast du Dich ja verhört«, waren meine Gedanken, denn ich war ganz in mein Buch vertieft. Gerade als ich mich wieder hingelegt hatte, klingelte es noch einmal. Und wieder drückte ich den Türöffner, doch es kam niemand ins Haus. Dann öffnete ich das Fenster im Treppenhaus, von dem aus ich den Eingangsbereich einsehen konnte. Nichts. Da war niemand zu sehen.

Doch plötzlich bekam ich den starken Impuls, in der Erdgeschosswohnung nach meiner Schwiegermutter zu sehen. Mit einem mulmigen Gefühl ging ich schnell die Treppe hinunter, öffnete die Wohnungstür und war sogleich in Panik, da die ganze Küche voller Wasserdampf war. Der alte Wasserboiler aus Glas war leer, und dieser hatte sich, nachdem das Wasser gekocht hatte, nicht abgestellt. Es roch schon ganz verschmort, und so zog ich blitzschnell den Netzstecker und öffnete das Küchenfenster. Meine Schwiegermutter saß seelenruhig im Wohnzimmer über einem Kreuzworträtsel und hatte von allem nichts mitbekommen!

»Dieser Impuls konnte doch nur von einem Engel gekommen sein«, waren meine Gedanken.

Ein paar Monate später hat mich der Pfarrer unserer Gemeinde gefragt, ob ich nicht im Gemeindebrief für November / Dezember eine kleine Geschichte schreiben möchte. Spontan dachte ich daran, die Sache mit dem defekten Wasserboiler und die Warnung der Engel aufzuschreiben. Nun kamen mir aber doch Bedenken, ob das die Menschen überhaupt lesen wollten. Vielleicht fanden sie das ja albern. Doch das sollte der Pfarrer entscheiden, und so wurde meine kleine Geschichte gedruckt.

Eine Woche nach dem Erscheinen des Pfarrbriefes klingelte es an meiner Haustüre, und eine alte Frau aus der Gemeinde kam zu Besuch. Ich kannte sie nur vom Sehen, und zu meiner Überraschung überreichte sie mir ein Geschenk. Während ich begann, dieses auszupacken, erzählte sie mir, wie sehr sie sich über meine Engelgeschichte gefreut hätte. Und aus dem Geschenkpapier kam ein wunderschönes Engelbuch zum Vorschein.

Etwas später erzählte mir der Pfarrer sehr erfreut, dass er zum ersten Mal einen Leserbrief bekommen hätte. Also, es gibt sie doch…

Und von dem Moment an las ich immer wieder einmal etwas über Engel, und so fühlte ich mich zu dem nachfolgenden Gedicht inspiriert.